Wirtschaftliche Krise und Prosperität in der Chemieindustrie
Zyklen / Restrukturierungen / Konzentrationsprozesse in der Chemischen Industrie
Ende 18., Anfangs 19. Jahrhundert: Grundstoffindustrie, d.h. Zubereitung von Chemikalien fĂĽr die Schnellbleiche und den Zeugdruck in der Textilindustrie.
Die Industrie handelte mit klassischen Färbereimaterialien und extrahierte Farbstoffe aus Naturstoffen. Daneben entwickelte sich die synthetische Farbstoffproduktion ab 1860. Die Geigy in Basel ist ein Beispiel für den Handelsbetrieb von Färbereimaterialien, Extrakten und der ersten Herstellung von synthetischen Farbstoffen.
Von diesen ersten Grundstoffindustrien hat allein die Chemie Uetikon den Konzentrationsprozess in der Branche überlebt. Faktoren diese Prozesses: beschränkte Märkte und der Wegfall des Entfernungsschutzes durch das Aufkommen der Eisenbahnen.
Chemie Uetikon AG
1818 gründeten die Geschwister Heinrich, Rudolf, Kaspar und Elisabeth Schnorf in Uetikon am Zürichsee einen Gewerbebetrieb zur Herstellung von Schwefelsäure und Sulfatsalzen, heute als Chemie Uetikon AG bekannt. Weiteres siehe hier
Ab 1860: die organische Chemie steht im Zentrum der chemischen Industrie
Perkin -Mythos: jeder Student der Chemie kann eine bahnbrechende Erfindung machen und zu grossem Vermögen kommen. Chemie ist ein Handwerk des Zusammenbauens und Rekombinierens.
Französisches Wissen, später auch deutsches Wissen über die synthetische Herstellung von Farbstoffen wurde dank fehlendem Patentschutz in der Schweiz übernommen und mit diesem Wissen wurden Imitate hergestellt.
GrĂĽnderkrise 1873 und Lange Depression 1873 - 1896
Im Anschluss an die Boomjahre der GrĂĽnderzeit kam es 1873 zum sogenannten GrĂĽnderkrach, in dessen Folge allein in Deutschland und Ă–sterreich ĂĽber 60 Banken insolvent wurden.
Die internationalen ökonomischen Wachstumsstörungen 1873–1896 sind unter dem Begriff Große bzw. Lange Depression bekannt.
1870 - 1890: kritische Entwicklungsphase, starker Druck der deutschen chemischen Industrie.
1870 - 1880: Aufbau firmeneigener Forschung durch die Anstellung von akademisch ausgebildeten Chemikern.
Robert Bindschedler, Absolvent des Polytechnikums und späterer Leiter der Ciba, kann als Promoteur dieser Entwicklung und der Ausrichtung auf die Entwicklung von chemischen Spezialitätsprodukten angesehen werden.
1882 GrĂĽndung der Schweizerischen Gesellschaft fĂĽr chemische Industrie - SGCI. Zeichen fĂĽr die wissensbasierte Industrie resp. der sogenannten 'zweiten industriellen Revolution'.
Krise 1893/94
5. Mai 1893: Der „Industrial Black Friday“ in den USA löst erhebliche Kursverluste an der New York Stock Exchange aus, die besonders Eisenbahnaktien treffen. Die Wirtschaftskrise trifft in der Folge auch den Silbermarkt und entwickelt sich zur „Silber-Panik“. Griechischer Staatsbankrott 1893.
In Basel hohe Arbeitslosigkeit unter den Textilarbeitern Konzentrationsprozess unter den vielen Kleinunternehmen. Erste Grossunternehmen entstehen. Bis zum ersten Weltkrieg konnte die Basler Farbstoffchemie in Kooperation mit der deutschen Industrie 10% Marktanteil der Fabrstoffe weltweit halten. 1895: Firmenich SA Genf, Industrie der Riech- und Aromastoffe.
Krise 1896 und Stagnation 1898 - 1901
Der Druck aus Deutschland war gross und einige Basler Firmen sprachen sich schon Ende der Jahrhundertwende fĂĽr ein Patentgesetz aus.
Die Forschung sollte ihrer Meinung nach auch nach dem deutschen Modell folgen, in dem die akademische mit der industriellen Forschung eng verflochten ist.
Finanzkrise 1907 und Wirtschaftskrise 1908/1909
1914 - 18: während des Ersten Weltkrieges konnten die Basler Betriebe grosse Gewinne einfahren z.T. dank der Ausschaltung der deutschen Konkurrenz. Beginn einer Nationalisierung der Forschung. Chemische Forschung dient direkt der Kriegsvorbereitung: Sprengstoffe, Schiesspulver, Metallurgie, Gaskrieg, indirekt Dünger und Ersatzstoffe. Doch gleichzeitig erwuchs eine neue Konkurrenz im Aufbau der Industrien der kriegsführenden Staaten.
Investitionen des Staates/Armee wegen der Stoffknappkeit
Weltwirtschaftskrise 1921 erreicht die Schweiz
Neue Konzentrationen v.a. in Kartellen
1921 bis Ende 30er Jahre: Diversifikation der Produktion
20er Jahre: Neues Verständnis der 'Fadenmolekeln', der Fadenmoleküle resp. der Polymere.
1918 bis 1950: Interessengemeinschaft Farben der drei grossen Unternehmen Ciba AG, J.R. Geigy A.G., Sandoz A.G.
Statt Fusion wurde ein Kartell errichtet mit arbeitsteiliger Forschung und Produktion, sowie einem Gewinnpool.
1929 - 1939: Die IG Farben Basel war integriert in internationale Farbenkartelle wie der IG Farben Deutschland.
Diese Kartelle beherrschten den Farbstoff-Weltmarkt bis zum 2.Weltkrieg.
Börsenkrach von 1929 und Krise der 30er Jahre
Neue Diversifikationen in Heilmittel, Pestizide und Kunststoffe
30er Jahre: Erfolgreiche Vitaminsynthese und Erfolge in der Hormonforschung.
Aufschwung der Alkaloidchemie: Naturstoffe aus Opium, Mutterkorn, Digitalis u.a..
Neue Stoffe als Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen wie dem Penicillin.
1937 - 1942: Prosperität dank Kriegsvorbereitungen. Viele neue moderne Fabrikanlagen wurden gebaut.
Zunehmende Bedeutung der Naturstoffchemie.
Abnehmende Bedeutung des Chemikers bei zunehmender Bedeutung des Mediziners, des Biologen, dann später des Juristen und des Ökonoms.
Die physikalische Chemie diente dem Organiker als analytische Chemie bei der Identifikation von Stoffen und von Molekularstrukturen.
Grosstechnische Prozesse konnten mithilfe von optimierten Reaktionsverläufen ökonomischer durchgeführt werden.
Geistige Landesverteidigung und Kriegsvorbereitung
1939 - 45 - 2. Weltkrieg: Basler industrieller leitet die staatliche Organisation der Kriegswirtschaft.
Es entstanden immer mehr Probleme, an die Ausgangsstoffe und an Kohle zu gelangen. Auch der Zugang zu entfernten Märkten war erschwert.
1943 / 1944: soziale Konflikte und Arbeitskämpfe in den Chemischen. Diese Konflikte beschleunigten die Modernisierung der Anlagen und Verfahren, um mit weniger Arbeitskräften mehr Output zu erreichen.
Krise 1948 - 53
Ende 40er, Anfangs 50er Jahre: schwere Krise mit vielen Entlassungen und Sparmassnahmen.
Erst nach dem Koreakrieg (1950 - 53) begann der Aufschwung, der in die sogenannte Hochkonkjunktur mĂĽndete.
Ab 50er Jahre: Unter der Dominanz US-multinationaler Konzerne wird die chemische Industrie von der kohlebasierten auf die petrobasierte Industrie umstrukturiert.
Gewaltiger Schritt nach vorne bei der Analytik. Gleichzeitig einsetzende Internationalisierung der Forschung.
Ab 60er Jahre: Biochemie als Schwerpunkt
Mitte der 70er Jahre: Sättigung des Marktes mit Pharmaprodukten. Stagnation, dazu Erstarkung der Umweltbewegungen.
Krise 1973
Ab 1973 Restrukturierung mittels Gentechnik
1976 - 1980 kann Roche kein einziges neues Medikament auf den Markt bringen.
1979 Roche setzt auf die globalisierte Forschung mit dem Zentrum in Nutley, USA. Im Zentrum des Interesses steht die Biotechnologie. Die IRCAG -International Research, Coodination and Advisory Group, soll den Austausch zwischen der Grundlagen- und der industrieller Forschung garantieren.
Krise 1979 / 80
1980 bis 1984 Boom der Biotechtitel an der Börse
1989 Roche Holding AG
90er Jahre: einsetzende Globalisierung in grossem Massstab. Neue Konzentrationsprozesse und grosse Umstrukturierungen der Branche setzten ein.
1990 Roche sieht die Genomics oder Genoc Sciences im Zentrum aller Geschäftstätigkeit, d.h. Therapien auf der Basis der Sequenzierung des menschlichen Genoms.
1990 Ăśbernahme Genentech durch Roche
1994 Ăśbernahme Syntex durch Roche.
Krise 1991 -1997
1996 Ciba-Geigy und Sandoz fusionieren zu Novartis mitsamt den 'Life Sciences' Pharma, Agro, Ernährung.
1996 Die Sparte Spezialitätenchemie wird zu Ciba-Spezialitätenchemie AG ausgelagert.
Die Farbstoffe werden ebenfalls ausgelagert und an BASF verkauft. Später an Huntsman.
Krise 2001
Krise 2008
Bevölkerungsentwicklung Basel-Stadt
Jahr | Einwohner BS | Jahr | Einwohner BS |
1774 | 15'040 | 1910 | 132'276 |
1815 | 16'674 | 1920 | 135'976 |
1835 | 21'219 | 1930 | 148'063 |
1847 | 25'787 | 1941 | 162'105 |
1850 | 27'170 | 1950 | 183'543 |
1860 | 37'915 | 1960 | 206'746 |
1870 | 44'122 | 1970 | 212'857 |
1880 | 60'550 | 1980 | 182'143 |
1888 | 69'809 | 1990 | 178'428 |
1900 | 109'161 | 2000 | 166'558 |
Quellen:
- Paul Mattick, Marx und Keynes, Grenzen des "gemischten Wirtschaftssystems", Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt, 1971
- Chemie in der Schweiz, 1997 CMS Verlag
- Wikipedia
- Die lange Depression
- Panik von 1907
- anhaltende Krise 1908 in Deutschland
- Weltwirtschaftskrise 1929
Arbeitslosigkeit Zeugnisse der Armut Weltwirtschaftskrise ChemieUetikon Uetikon Auswanderung