Kleinhüningen: vom Fischerdorf zum Arbeiterquartier
Kleinhüningen war ein eigenständiges Fischer- und Landwirtschaftsdorf gewesen, bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts unter dem Einfluss der industriellen Entwicklung die Grenzziehung zwischen Dorf und Stadt zunehmend verwischt wurde. In unmittelbarer Nähe der Gemeindegrenze wurden erste industrielle Betriebe errichtet wie beispielsweise die Farbenfabrik von Alexander Clavel. Die industrielle Entwicklung führte in der Stadt Basel zu einem rasanten Bevölkerungswachstum, das seine Entsprechung in der Expansion des Wohnraums fand: Die Stadtmauern wurden geschleift, die städtische Überbauung wuchs im Unteren Kleinbasel von der Klybeckstrasse her in Richtung Kleinhüningen. Der bauliche Zusammenhang mit der Stadt wurde nach der Jahrhundertwende immer dichter. Auf dem Boden der Landgemeinde wurden nun auch erste industrielle Betriebe errichtet, wie Robert Bindschedlers Fabrik für Farbstoffe und chemische Präparate. Entlang der Wiese siedelten sich um die Wende zum 20.Jahrhundert erste Färbereibetriebe an. Kleinhüningen entwickelte sich zu einem städtischen Aussenquartier.
In diese Zeit fällt auch die politische Verschmelzung Kleinhüningens mit der Stadt Basel: Die Landgemeinde hatte die Stadt bereits gegen Ende des 19.]ahrhunderts aufgrund ihrer finanziellen Lage um eine Übernahme ihrer Gemeindegeschäfte gebeten. Als zu drückend wurde die Steuerlast für die Einwohner der Gemeinde, zum grössten Teil Arbeiter mit bescheidenem Einkommen, beschrieben. Als weiteres Argument wurde die zunehmend verwischte Grenze zwischen Dorf und Stadt aufgeführt: "Örtlich ist die Gemeinde von der Stadt kaum mehr getrennt, und der notwendige bauliche Anschluss wird bald vollzogen sein, da eine Ausdehnung Kleinhüningens gegen Norden durch die nahe Grenze verhindert und das Wachstum der Stadt gerade in dieser Richtung eine intensive ist", hiess es im Ratschlag von 1891. In einer ersten Etappe wurde 1893 die politische Gemeinde Kleinhüningen in die Organisation des Halbkantons eingegliedert.
Was bis 1908 weiterhin bestehen blieb, war die Bürgergemeinde des ehemaligen Fischerdorfs. Die bauliche Verschmelzung mit der Stadt wurde indessen immer dichter, durch den Bau der Umschlagplätze des Badischen Bahnhofs hatte der Grundbesitz der Bürgergemeinde stark abgenommen. Zu Beginn des 20.]ahrhunderts wurden weitere Vereinigungsverhandlungen aufgenommen und im Dezember 1907 stimmten die Kleinhüninger Stimmbürger schliesslich der endgültigen Fusion zu. Was baulich bereits geschehen war, wurde nun auch aus politischer Sicht vollzogen: Kleinhüningen wurde zu einem städtischen Aussenquartier.
Kleinbasel zwischen Ciba und Wiese
In Kleinhüningen hatte sich die Bevölkerung zwischen 1850 und 1900, also innerhalb von 50 Jahren, von 531 auf 1882 Menschen mehr als verdreifacht. Beinahe 75 Prozent aller Einwohner um 1900 waren keine Basler Kantonsbürger. Die Neuzugezogenen kamen aus dem Ausland oder aus anderen Schweizer Kantonen. Für viele von ihnen war Kleinhüningen ein erster Wohnort, bevor sie weiter ins Stadtinnere zogen. Der Volkskundler Paul Hugger beschreibt Kleinhüningen als eine Schleuse, durch die Deutsche aus der Nachbarschaft in die Schweiz gelangten, sich niederliessen und später weiterzogen. Die Zuwanderer waren mehrheitlich Handwerker oder ungelernte Fabrikarbeiter, die vor allem in den Färbereien und chemischen Betrieben Beschäftigung fanden.
Hugger charakterisiert Kleinhüningen als ärmliches, im Gegensatz zum benachbarten Klybeckquartier allerdings als etwas weniger trostloses Quartier. Um 1910 zählten rund zwei Drittel der Einwohner zu den drei unteren Einkommensklassen, zu welchen Unterbeamte und ungelernte Arbeiter gehörten. Die meisten Bewohner Kleinhüningens lebten etwas über dem vitalen Minimum. Das benachbarte Klybeckquartier war erst im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts entstanden. Vom Statistischen Amt wurde es 1910 als "Industrieviertel" charakterisiert, in welchem der "Typus der Mietskaserne" dominierte: dichte Blockrandbebauung mit Innenhöfen, die teilweise durch Gewerbebetriebe genutzt wurden. Die zeitgenössischen Beschreibungen des Quartiers erwecken den Eindruck hoffnungsloser Trostlosigkeit: "Lange hohe Häuserreihen, Fabrikkamine, grosse Gaskessel, unangenehmer Geruch chemischer Produkte, dies sind die äusseren Kennzeichen des Arbeiterquartiers Klybeck-Kleinhüningen."
Eine der markantesten Veränderungen im Unteren Kleinbasel dürfte der Bau der Hafenanlagen gebracht haben. 1914 gab die Regierung der Stadt Basel die Planung der Hafenanlagen in Auftrag, nach dem Krieg, am 20. Februar 1919, wurde mit dem Bau des ersten Hafenbeckens begonnen. Das Land am Rheinbord war vielen kleinen Landbesitzern, die dort ihre Gemüsegärten unterhielten, abgekauft worden. Anfang August [!1923]] wurde die erste Hafenanlage in Betrieb genommen, 1939 schliesslich war der gesamte Bau abgeschlossen. In den 20 Jahren war am Rheinufer eine eigentliche Industrielandschaft entstanden, bestehend aus zwei grossen Hafenbecken, verschiedenen Silos, Tankanlagen und Lagerräumen. Hier wurden industrielle Rohmaterialien, Kohle, Getreide und flüssige Brennstoffe umgeschlagen und auch gelagert.
Mit dem Bau der Hafenanlagen entstand auch ein neues Berufsfeld: die Hafenarbeiter. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war das Umschlagen eine personalintensive Akkordarbeit. Kohle wurde in Körben an Land gebracht. Die Arbeit im Hafen war eine Gelegenheitsarbeit ohne feste Arbeitsbedingungen.